Der Unternehmensverband Unterelbe-Westküste (UVUW) hat seine 400 Mitgliedsunternehmen um ihre konjunkturelle Einschätzung gebeten.
Die Umfrage zur Konjunkturlage wurde im Juni 2022 an alle Mitglieder des UVUWs gerichtet. Teilgenommen haben 131 Unternehmen unterschiedlicher Branchen und Größen. Die Ergebnisse liefern daher einen guten Blick auf die gesamtunternehmerische Situation des westens Schleswig-Holsteins.
Ergänzend zu konjunkturellen Fragen nach der Auftragslage, der Investitionsbereitschaft und den Personalbeständen befragen wir unsere Mitgliedsunternehmen auch zu übergeordneten Themen.
- Übergeordnete Themen
1.1.Materialknappheit
Die Materialkrise verschärft sich vor dem Hintergrund des Ukrainekrieges weiter. 71% aller Unternehmen an der Westküste leiden unter Material- und Lieferengpässen.
Die beispiellosen Probleme in den Lieferketten führen zu existenziellen Herausforderungen in den Unternehmen. Dies ist umso ärgerlicher, da die Auftragsbücher reichlich gefüllt sind. Mit der Null-Covid-Strategie Chinas und dem Herunterfahren von Millionenmetropolen wie Shanghai kommt ein weiteres gewichtiges Problem hinzu. In den Häfen Chinas stauen sich die Container mit Waren, die wegen des Lockdowns das Land nicht verlassen können. Die Container, die es beispielsweise nach Hamburg schaffen, können wegen des Rückstaus nicht entladen werden.
Vereinzelt droht an der Westküste und der Unterelbe Kurzarbeit, weil Material fehlt. Bei jedem zehnten Unternehmen, welches unter Materialknappheit leidet, droht Kurzarbeit.
1.2. Energiekrise
Die Unternehmen halten trotz der Energiepreisentwicklung an ihren Zeitplänen zur Erreichung einer Klimaneutralität fest. Zwar stellen 15% der Unternehmen geplante Investitionen in diesem Bereich zurück, 19% werden hingegen die Investitionen vor dem Hintergrund der Energiepreise beschleunigen. Die vergleichsweise hohe ökologische Innovations- und Investitionsneigung an der Westküste dürfte auch auf die Besonderheiten des Mittelstands zurückzuführen sein (Heimatverbundenheit, Energiewendepioniere, Einheit von Eigentum und Leitung). Diese proaktive Herangehensweise der Unternehmen sollte politisch stärker gestützt werden. Den Unternehmen sollte mehr Spielraum für eigene, innovative Lösungen eingeräumt werden, anstatt sie in ein enges Korsett von Ge- und Verboten zu zwängen.
Auch im Land der Erneuerbaren Energien nutzen immer noch vier von fünf Unternehmen weiterhin Gas als Energieträger. Die Sanktionen gegen Russland oder die Drosselung von russischem Erdgas haben daher auch unmittelbaren Einfluss auf die Funktionsfähigkeit der Unternehmen an der Westküste.
Die Unternehmerinnen und Unternehmer geben an, dass die immer weiter steigenden Energiepreise zu weiteren Preiserhöhungen ihrer Produkte führen werden. Gleichzeitig halten die meisten Befragten es für wahrscheinlich, dass die Entwicklung zu weiteren Investitionen in die Energieeffizienz führen werden. Eine Verschiebung von Investitionen ist eher unwahrscheinlich. Ein Wechsel auf andere Energieträger ist mehrheitlich nicht zu erwarten.
Die Energiekosten sind bei den Unternehmen im ersten Halbjahr um durchschnittlich 31% gestiegen.
Die Mehrheit gibt an, die Mehrkosten für die Energiebeschaffung nicht vollständig an die Kunden bzw. die Verbraucher weitergeben zu können. Zwar finden Preisanpassungen nach oben statt, jedoch nicht in dem Umfang, in dem sie es eigentlich müssten. Kein Wunder, wenn jedes zweite Unternehmen darin eine riesige Herausforderung sieht (siehe Grafik „TOP 10 der unternehmerischen Herausforderungen“).
Die Unternehmen müssen sich schon lange in einem Hochstrompreis-Land bewähren. Grund ist der im internationalen Vergleich hohe staatliche Anteil am Strompreis. In der aktuellen Marktsituation belasten die Abgaben und Umlagen die Unternehmen überproportional. Kommt es zum Neuvertragsstopp oder einer Insolvenz des Energieversorgers, müssen betroffene Unternehmen zu unverhältnismäßig teuren Preisen einkaufen, um ihren Betrieb am Laufen zu halten. Teilweise werden ihnen gar keine Angebote für Jahresverträge mehr angeboten, weil den Versorgern die benötigten Mengen am Markt nicht zur Verfügung stehen. In der Folge werden sie sich ab dem kommenden Jahr teilweise monatlich mit Energie eindecken müssen, was für die Produktions- und Planungssicherheit katastrophal ist.
Die vorgezogene Abschaffung der EEG-Umlage ist richtig, reicht aber nicht aus. Anzusetzen ist auch bei der Stromsteuer und den Netzentgelten. Unternehmen brauchen kurzfristig wieder mehr finanziellen Spielraum für dringend notwendige Investitionen. Die im Koalitionsvertrag angekündigte Superabschreibung für Investitionen in Klimaschutz und Digitalisierung könnte hier entscheidend entlasten.
1.3. Weitere Verschärfung beim Mangel an Fachkräften
Der Fachkräftemangel hat sich wieder einmal leicht verschärft. In Schulnoten übersetzt bewertet kein einziges Unternehmen die Verfügbarkeit von Fachkräften als „sehr gut“. 45% bewerten die Situation als „mangelhaft“ und 15% als „ungenügend“.“ Dabei fehlen eher Personen mit abgeschlossener Berufsausbildung als Akademiker. Tatsächlich sind auch die Aussichten nicht erhellend. Die Ansiedlung von Northvolt in Heide und die Investitionen in Brunsbüttel und Itzehoe werden den Kampf um die Fachkräfte weiter verschärfen. Wir haben beispielsweise in Dithmarschen 43.000 sozialversicherungspflichtige Beschäftigte. Northvolt allein möchte bereits 3.000 Personen einstellen. Um Northvolt herum sollen es knapp 10.000 Arbeits- und Fachkräfte sein. Die monetäre und zeitliche Investition in Mitarbeiterbindung und die Attraktivität der Arbeitsplätze wird eine immer größere Rolle in den kommenden Jahren einnehmen. Wir werden unsere Mitgliedsunternehmen diesbezüglich begleiten, Anreize schaffen und Angebote machen.
Hinzu kommt der demografische Wandel, der das einheimische Fachkräftepotenzial in den kommenden Jahren zusätzlich drastisch schrumpfen lässt. Wir sind auf Zuwanderung aus dem In- und Ausland angewiesen. Wir brauchen eine Zuwanderungsoffensive an der Westküste.
84% der Befragten fürchten eine Lohn-Preis-Spirale. Das Phänomen beschreibt eine Entwicklung, bei der die Arbeitnehmer zum Ausgleich des Kaufkraftverlusts infolge der gestiegenen Preise höhere Löhne fordern. Das wiederum lässt die Kosten der Unternehmen steigen, die diese in Form von Preisanhebungen an ihre Kunden weiterreichen.
Nachdem vor allem die gestiegenen Energiepreise die Wirtschaft belasten, verteuern sich jetzt zunehmend auch Vorprodukte. Die Bundesregierung erwartet 2022 ein Wachstum der Arbeitnehmerentgelte von 5,1 Prozent.
Die Coronakrise wird in der Personalpolitik hinter sich gelassen. Es kommt wieder zu leicht mehr Neueinstellungen. Der Personalbestand ist im zurückliegenden Halbjahr aber grundsätzlich konstant geblieben. Bei 62% ist der Personalbestand unverändert geblieben. 16% haben den Personalbestand seitdem verkleinert. 22% haben ihn erhöht. Die Arbeitsplätze sind sicher. Schließlich mangelt es auch nicht an Arbeit.
Immer mehr Auszubildende fehlen. Fünf Prozent der Ausbildungsplätze im Norden sind derzeit unbesetzt. Das liegt auch an einer mangelnden Berufsbildung an den allgemeinbildenden Schulen sowie an veralteter Ausstattung und Methodik an vielen berufsbildenden Schulen. Wir fordern die neue Landesregierung auf, einen spürbaren Beitrag zur flächendeckenden, effektiven und zeitgemäßen Berufsorientierung zu leisten.
Jedes vierte Unternehmen (28%) plant den Personalbestand im zweiten Halbjahr zu erhöhen. Unsere Erfahrungen aus der Vergangenheit zeigen jedoch, dass zwar der Wille da ist den Personalbestand zu erhöhen, der Arbeitsmarkt den Bedarf jedoch nicht decken kann.
1.4. TOP 10 der wirtschaftlichen Belastungen
Am stärksten belastet die Unternehmen nach wie vor der Bürokratieaufwand, gefolgt von langen Lieferzeiten, Energiekosten, Arbeitskosten und dem Fachkräftemangel.
Hinsichtlich der Bürokratiebelastung möchte die Bundesregierung Genehmigungsverfahren vereinfachen und beschleunigen. Durch geplante Maßnahmen – insbesondere die Halbierung der Verfahrensdauer – kann ein funktions- und zukunftsfähiges Verfahren geschaffen werden. Um nicht zuletzt den Ausbau der Erneuerbaren Energien zügig voranzutreiben, müssen Planungs- und Genehmigungsverfahren, etwa für Windenergie- und Photovoltaikanlagen, deutlich schneller und unbürokratischer werden. Hier braucht es nicht weniger als eine fundamentale Reform. Die neue Landesregierung ist ebenfalls aufgefordert in diesem Bereich endlich zu deutlich sichtbaren Erfolgen zu kommen. Dies bezieht auch die schnelle Erschließung von zusätzlichem Wohnraum an der Westküste ein.
Ein anderes Beispiel sind die neuen Nachhaltigkeitspflichten, die sich eigentlich an Großunternehmen richten, aber auch die kleinen Unternehmen betreffen. Zwar gilt das geplante europäische Lieferkettengesetz unmittelbar nur für große Unternehmen. Aber auch kleine Unternehmen müssen beispielsweise in Wertschöpfungsketten größeren berichtspflichtigen Unternehmen zunehmend Informationen zur Verfügung stellen, damit diese ihre Nachhaltigkeitsaktivitäten nachweisen können. Perspektivisch ist eine Ausweitung der Berichtspflichten auch direkt auf kleine mittelständische Unternehmen wahrscheinlich.
Erfreulich ist, dass die Unsicherheiten auf Grund der Pandemieentwicklung spürbar zurückgegangen sind (jetzt 19%, zuvor 49%).
1.5 Zusammenfassung
- Materialkrise verschärft sich weiter
- Energiekrise hat keine negativen Auswirkungen beim schnellen Ziel der Klimaneutralität
- steigende Energiekosten führen zu steigenden Preisen
- Verfügbarkeit von Fachkräften hat sich weiter verschlechtert
- Personal gesucht
- Konjunktureinschätzung
2.1. Generelle Einschätzung der Konjunktur
Losgelöst von der einzelbetrieblichen Einschätzung bewertet jedes zweite Unternehmen (52%) die generelle bundesweite wirtschaftliche Entwicklung des ersten Halbjahres 2022 gegenüber dem zweiten Halbjahr 2021 als schlechter.
Der Blick in die Zukunft ist düster. Die Arbeitgeber im Westen Schleswig-Holsteins befürchten, dass sich die Konjunktur in Deutschland in den nächsten Monaten weiter verschlechtern (63%) wird.
2.2. Gegenwärtige Geschäftslage
Im Vergleich zur konjunkturellen Gesamtstimmungslage laufen die Geschäfte noch immer gut. Jedoch wird die gegenwärtige Geschäftslage inzwischen von 7% weniger mit „gut“ bewertet als noch vor einem halben Jahr (jetzt 45%, zuvor 52%). 15% der Befragten geben ihre Geschäftslage mit „schlecht“ an, das sind zwei Prozent mehr als zuvor.
2.3. Auftragseingänge
Wir erlebten zu Beginn der Pandemie einen beispiellosen Einbruch der Auftragseingänge. Dieser Einbruch ist überwunden und die Auftragseingänge liegen insgesamt über dem Vorkrisenniveau. Im zurückliegenden Halbjahr sind bei 38% der Befragten Unternehmen die Auftragseingänge wieder gestiegen und bei 18% zurückgegangen. In der Folge schwellen die Auftragsbestände, die sich bereits auf Rekordniveau befinden, immer weiter an.
Auch der gegenwärtige Auftragsbestand hat sich erholt. 41% der Unternehmen berichten von einem guten Auftragsbestand. 16% beurteilen ihn hingegen als „zu gering“.
Die Unternehmer glauben jedoch nicht, dass dieser Trend anhält. In den nächsten 6 Monaten wird sich der Anteil der Unternehmen, die steigende Auftragseingänge zu verzeichnen haben, und der Anteil, der von fallenden Auftragseingängen berichten wird, die Waage halten.
2.4. Auslastung
Die Auslastung der Unternehmen steigt immer weiter. Die Unternehmen der Westküste fahren derzeit eine hohe Auslastung von durchschnittlich 85%. Das sind nochmal 3% mehr als vor einem halben Jahr.
2.5. Investitionen
Die Investitionsbereitschaft ist leicht rückläufig. Die Investitionen wurden tendenziell eher eingeschränkt als erhöht. Die Unternehmen haben während der Pandemie teilweise Rücklagen aus den Vor-Corona-Jahren anzapfen müssen, außerdem benötigen sie Liquidität für die Materialbeschaffung und die Energiekosten. Infolgedessen stellen Unternehmen Investitionen, die nicht die Klimaneutralität betreffen, tendenziell eher zurück.
2.6 Zusammenfassung
- Verschlechterung der gesamtwirtschaftlichen Lage in Deutschland befürchtet
- Gegenwärtig mehrheitlich gute Geschäfts- und Auftragslage, jedoch deutet sich Trendumkehr an
- Unternehmen immer stärker ausgelastet
- Unternehmen bleiben mit Investitionen grundsätzlich eher zurückhaltend
- Unternehmen wollen Personalbestand erhöhen
Der UVUW ist ein Zusammenschluss von rund 400 Unternehmen im Gebiet von Norderstedt bis zur dänischen Grenze. Gegründet wurde er vor 75 Jahren und hat sich zum wichtigen Sprachrohr der Wirtschaft an der Westküste und im Hamburger Umland entwickelt.
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