Offener Brief
an das
Ministerium für Wirtschaft, Verkehr, Arbeit, Technologie und Tourismus des Landes Schleswig-Holstein
Herrn Minister Dr. Bernd Buchholz
Düsternbrooker Weg 94
24105 Kiel
Kiel, Flensburg, Itzehoe, 05.11.2020
Sehr geehrter Herr Dr. Buchholz,
trotz aller kritischer Rückfragen und teilweiser berechtigter Kritik an den getroffenen Regelungen tragen wir die politischen Entscheidungen zur Bekämpfung der SARS-Cov2-Pandemie mit und appellieren an die Unternehmerschaft, sich weiterhin an alle Regeln zu halten.
Seit Beginn der Pandemie ist jedoch insbesondere für die Solo-Selbstständigen und Freiberufler die wirtschaftliche Situation sehr angespannt. Sie sind häufig durch stornierte Aufträge indirekt betroffen und wissen teilweise nicht mehr, wie sie ihren Lebensunterhalt bestreiten sollen. Der Maßnahmenkatalog der Bundes- und Landesregierung für Solo-Selbstständige geht noch immer
bedauerlicherweise an den Bedürfnissen der Betroffenen vorbei. Ob dies gewollt oder lediglich der Praxisferne geschuldet ist, lässt sich für uns nicht abschließend beurteilen. Es handelt sich hierbei keineswegs um eine kleine Gruppe. Im Jahr 2019 waren 4,6 % aller Erwerbstätigen zwischen 15 und 64 Jahren Selbstständige ohne weitere Mitarbeiter.1
Die Prüfung der Anwendbarkeit der geltenden Maßnahmenkataloge führt zu folgendem unbefriedigendem Ergebnis:
Kurzarbeitergeld: Nicht zutreffend, da keine Mitarbeitende
Steuerliche Erleichterungen: Keine Entlastungen, da nachzuzahlen
Kredite durch KFW und Investitionsbank: Keine Entlastung, da zurückzuzahlen und Auswirkungen auf zukünftige Kalkulationsgrundlagen
Evtl. abgeschlossene freiwillige Arbeitslosenversicherung: Arbeitslosmeldung setzt Aufgabe der beruflich selbstständigen Tätigkeit voraus und hat die aktive Vermittlung in ein Arbeitsverhältnis zur Folge.
Hilfe für Kultur- und Kreativschaffende: Nicht zutreffend für die meisten, da sehr begrenzte Zielgruppe
Soforthilfe: Nur für erwerbsmäßigen Sach- und Finanzaufwand wie z. B.: gewerbliche Mieten, Pacht, Leasing etc.; die Kriterien können von den meisten Solo-Selbstständigen nicht erfüllt werden.
Zugang zur Grundsicherung: Einnahmen reichen häufig nicht um Lebenshaltungskosten zu decken, sind aber gleichzeitig noch zu hoch, um Grundsicherung in Anspruch nehmen zu dürfen. Die noch am Markt existenten Solo-Selbstständigen müssen auf Rücklagen zurückgreifen, da diese vorrangig einzusetzen sind. Die Solo-Selbstständigen haben kein Interesse daran, in der Grundsicherung beziehungsweise in der Arbeitsvermittlung zu landen. Die Unternehmer möchten auch nach der Pandemie mit ihren Leistungen einen aktiven Beitrag für unser Wirtschaftssystem leisten.
Überbrückungshilfe I und II: Nicht zutreffend, da Solo-Selbstständige i.d.R. kaum betriebliche Fixkosten haben, welche steuerlich anerkannt werden. Die Anzahl der bisher gestellten Anträge zeigt, dass dieses Instrument ins Leere geht. Bei der möglichen Überbrückungshilfe III wird zum wiederholten Mal explizit die Kultur- und Veranstaltungswirtschaft genannt. Es sind jedoch viele Solo-Selbstständige aus ganz unterschiedlichen Berufsfeldern betroffen. Die Berücksichtigung der Kultur und Veranstaltungswirtschaft allein würde zu kurz greifen.
Wirtschaftsstabilisierungsfond: Nicht zutreffend, obwohl auch Selbständige vor Corona wirtschaftlich gesund und wettbewerbsfähig waren.
Durch den neuen Teillockdown verschärft sich die Situation weiter. Aufträge werden storniert, Einnahmen sind kaum noch vorhanden. Dennoch laufen die monatlichen Kosten wie die der Krankenversicherung uvm. weiter. Eine positive Perspektive ist auch in den kommenden Monaten nicht absehbar.
Die Bundeskanzlerin betonte auf ihrer Pressekonferenz am 2. November:
„Niemand wird mit seinem Einnahmeverlust allein gelassen!“.
Wir gehen davon aus, dass damit auch die Selbstständigen gemeint sind, die mittelbar durch den betroffen sind.
Viele Solo-Selbstständige waren in der Vergangenheit auch untereinander wirtschaftlich aktiv. Dieser Kreislauf ist unterbrochen. Es können keine strategisch wichtigen, aber operativ zurzeit nicht darstellbaren Investitionen sowie Ausgaben des privaten Konsums getätigt werden. Dieser Umsatz wird dem Wirtschaftskreislauf entzogen.
Wir als regionale Unternehmensverbände in Schleswig-Holstein sehen daher in einem Unternehmerlohn für Solo-Selbstständige, wie er bereits in einigen Bundesländern gewährt wird, ein bürokratiearmes und wirkungsvolles Instrument für die zahlreichen Berater, Fotografen, Designer, Coaches und viele mehr.
Als regionale Arbeitgeberverbände bedauern wir die geringe Wertschätzung der zahlreichen Solo-Selbstständigen. Die vielen „Einzelkämpfer“ und Entrepreneurs tragen nicht nur zu dem vielfältigen Wirtschaftsleben in unserem Land bei, sondern sorgen mit ihren Dienstleistungen auch für Entlastungen bei größeren Unternehmen. Diese Selbstständigen brauchen wir nach Corona noch in unserem Land!
Mit freundlichen Grüßen
Ken Blöcker Ingo Scheuse Dr. Fabian Geyer
Geschäftsführer Geschäftsführer Geschäftsführer
Unternehmensverband Unternehmensverband Arbeitgeberverband
Unterelbe-Westküste e.V. Kiel e. V. Flensburg-Schleswig-Eckernförde e. V.
Breite Straße 13-17 Lindenstraße 16 Neustadt 16
25524 Itzehoe 24105 Kiel 24939 Flensburg
Tel.: 04821 645330 Tel.: 0431 3393621 Tel.: 0461 84055-0
bl******@uv**.de
sc*****@uv****.de
ge***@ar*******************.de
1 Statistisches Bundesamt: https://www.destatis.de/DE/Themen/Arbeit/Arbeitsmarkt/Qualitaet-Arbeit/Dimension-4/solo-selbstaendige.html, aufgerufen am 03.11.2020
Offener Brief Regionalverbände fordern Unterstützung für Soloselbständige