In der regionalen Wirtschaft herrscht zunehmend Unruhe und Unsicherheit über die Perspektiven der wirtschaftlichen Entwicklung mit Corona. Die steigende Ablehnung von einzelnen Maßnahmen der Politik gepaart mit der unzureichenden Kommunikation der Regierungen sind eine gefährliche Mischung und verstärken den Unmut bei den Unternehmern.
Den Verantwortlichen ist es gestern auf der gemeinsamen Videokonferenz der Bundeskanzlerin mit den Regierungschefinnen und Regierungschefs der Länder erneut nicht gelungen eine notwendige realistische Weichenstellung für die nahe Zukunft zu beginnen. Der Politik muss es gelingen die Wirtschaft auch in der Pandemie am Laufen zu halten. Sie hätte gestern einen echten Öffnungsprozess für das Frühjahr dieses Jahres beginnen und eine Strategie des wirtschaftlichen Lebens mit dem Virus für das restliche Jahr präsentieren müssen.
Die Maximalankündigungen mit Kraftausdrücken wie „Bazooka“ und „Wumms“ wirken wie der blanke Hohn. Bei solchen Begriffen würde man ja denken, dass es schnell, unbürokratisch, in der Menge ausreichend und halbwegs gerecht zugeht – das ist alles nicht der Fall. Die Bearbeitung ist nicht schnell und alles andere als unbürokratisch. Das ist für ein Unternehmen, das um Liquidität ringt, in doppelter Hinsicht eine Katastrophe: Zum einen muss man teuer zwischenfinanzieren. Zum anderen gibt es bei den Hilfen wochenlange Ungewissheit, weil man nicht einmal eine Perspektive sieht, ob, wann und in welcher Höhe das Geld ankommt. Das löst bei den Unternehmen existenzielle Sorgen aus. Die verzögerten Zahlungen der letzten Monate stellen ein Staatsversagen dar. Die Mittel stehen bereit, aber es scheitert am IT Dienstleister der Bundesregierung.
Die politischen Maßnahmen haben die Fürsorge der Bevölkerung und die Abwehr von gesundheitlichen Risiken als Grundlage. Sie greifen fundamental in die Freiheitsrechte des Grundgesetzes ein. Sie sind daher nur hinzunehmen, wenn sie alternativlos sind. Warum sollten Hygienekonzepte, ein einheitliches Schutzkonzept für Pflegeheime und eine massive Teststrategie nicht eine funktionierende Alternative darstellen – in Zukunft sogar noch gepaart mit Impfungen.
Die Arbeitgeber und Arbeitnehmer dieses Landes haben das Recht, dass Ihnen die Abwägungen politischer Entscheidungen transparent kommuniziert werden. Hier geht es insbesondere um die Verhältnismäßigkeit bei den Einschnitten in die Grundrechte. Es ist unabdingbar und notwendig, dass die Unternehmen endlich Licht am Ende des Tunnels sehen und eine Perspektive haben. Wir werden noch Monate, wenn nicht sogar Jahre, mit dem Virus leben müssen. Der Lockdown kann schon daher nicht die neue Normalität darstellen, weil es irgendwann Niemanden mehr gibt, der die teuren Unterstützungsmaßnahmen erwirtschaftet.
Die Tatsache, dass das Land Schleswig-Holsteine im Vorfeld der gestrigen Konferenz eine Perspektivplan präsentiert hatte ist richtig, wenn auch überfällig. Es ist den vom Lockdown unmittelbar betroffenen Branchen und deren Unternehmen nicht mehr vermittelbar, dass sie ihre Existenz opfern müssen, ohne dass Ansteckungsorte oder der Verlauf des epidemiologischen Geschehens ausreichend bekannt sind. Das Wissen über die Ansteckungsorte, die epidemiologischen Wirkungsweisen politischer Maßnahmen und deren wissenschaftliche Begleitung ist nach einem Jahr noch immer erschreckend gering. Das fehlende Wissen führt dazu, dass die Verantwortlichen weiterhin alternative Maßnahmen zum pauschalen Lockdown scheuen. Die Folge ist, dass die Lockdownkeule weiterhin undifferenziert und überregional angewendet wird. Stattdessen brauchen wir schon seit langem ein besseres und detaillierteres Monitoring der einzelnen Maßnahmen, um das Virus gezielt und effektiv bekämpfen zu können. Wir fragen uns daher auf welchen Datengrundlage der Perspektivplan und der gestrige Beschluss erstellt wurde.
1. Eine Öffnungsperspektive darf nicht hinter verschlossenen Türen erarbeitet werden, sondern muss das Ergebnis einer breiten gesellschaftlichen Debatte sein. Das bedeutet auch unter Einbeziehung aller gesellschaftlichen Gruppen, also auch Arbeitgebervertretern, Arbeitnehmervertretern, Bildungsexperten etc. Hat die Landesregierung sich von Praktikern bzw. von Vertretern der Gesellschaft beraten lassen? Wer bildet den Expertenrat der Landesregierung? Wir machen darauf aufmerksam, dass Volkswissenschaftler keine Arbeitgebervertreter darstellen.
2. Der Perspektivplan ist nach Aussage des Ministerpräsidenten das Ergebnis einer klaren Prioritätensetzung. Auf Grundlage welcher Daten wurden die Priorisierungen der unterschiedlichen Lebensbereiche vorgenommen? Für gewisse Brachen wird eine komplette Schließung angeordnet währenddessen ihr Warensortiment von anderen geöffneten Branchen aufgenommen worden sind. Warum darf ein Friseur oder ein Blumenladen vor anderen Dienstleistern öffnen? Dies führt zu enormen Unverständnis.
3. Schleswig-Holstein möchte „kein Sonderweg“ gehen. Warum nicht, wenn das Land von seinem Weg überzeugt ist? Wir begrüßen, dass dies bei Schulen und Kitas bereits in Teilen beabsichtigt ist. Für den Einzelhandel wird dieser Weg nicht konsequent beschritten, warum nicht?
4. Die aufgeführten Werte der 7-Tages-Inzidenz im Perspektivplan werden mit Hilfe des „dynamischen Faktors“ abgesichert. Der Faktor soll u.a. die Auslastung der Intensivbettenkapazitäten (ohne Reserve), den 7-Tage-R-Wert, perspektivisch die Impfquote sowie weitere epidemiologische Aspekte berücksichtigen, wie z.B. das Auftreten der Mutationen, sowie die Situation des öffentlichen Gesundheitsdienstes. Wie werden die a) die Auslastung der Intensivbettenkapazitäten (ohne Reserve), b) der 7-Tage-R-Wert, c) die Impfquote d) weitere epidimologischen Aspekte als „dynamische Faktoren“ jeweils konkret gewichtet? Was sind hier die entsprechenden Grenzwerte?
5. Warum werden von Corona betroffene Institutionen wie Pflegeheime aus den Werten im Perspektivplan nicht herausgerechtet?
6. Ist das oberste Ziel der Landesregierungen Infektionen zu verhindern oder eine Überlastung des Gesundheitssystems zu vermeiden? Der Auslastung der Intensivbetten in den Krankenhäusern sollte unserer Ansicht nach eine gewichtigere Größenordnung darstellen. Die derzeit geführte Debatte über das „No-Covid“ verspricht, dass eine Realität ohne Covid möglich wäre. Als Arbeitgeber sichern wir die Existenzen von tausenden Menschen und können uns daher nicht auf ein wünschenswertes Werturteil verlassen, sondern fordern eine realistische Pandemieplanung ein. Wir glauben nicht, dass sich das Corona Virus in den kommenden Jahren – wie auch die Influenza – eliminieren lässt.
7. Eine Kontaktnachverfolgung war nach Aussage der Regierung bislang ab einem 7-Tage Inzidenz von 50 nicht mehr möglich. Woher stammt die Zahl 50, wer hat Sie wann festgelegt und hat sich die Leistungsfähigkeit der Gesundheitsämter in den zurückliegenden 12 Monaten nicht verbessert? Anstatt Perspektiven wurden den Unternehmerinnen und Unternehmern nun ein neu zu erreichender Inzidenzwert von 35 präsentiert. Scheinbar willkürlich werden Grenzwerte neu gesetzt ohne grundgesetzliche Abwägungen zu kommunizieren und obwohl viele Gesundheitsämter inzwischen eigenständig vertreten, dass eine Nachverfolgung auch bei höheren Inzidenzen möglich ist.
8. Was fehlt den Gesundheitsämtern, damit auch bei höheren Inzidenzen eine Nachverfolgung möglich ist?
9. Was passiert, wenn die zu erreichenden Werte im Perspektivplan in den kommenden Wochen nicht erreicht werden? Ist die Landesregierung der Auffassung, dass die Wirtschaft einen fortführenden Lockdown bis Ostern, Sommer oder darüber hinaus durchhält? Im Interesse der Politik stehen wir als Multiplikatoren für einen Austausch über diese drängenden Fragen bereit.